Dienstag, 26. Juni 2018

Talitas Tagebuch

Meine Freundin Talita, die ich aus Halle
kenne, wo ich mit ihr im Konvikt zusammen gewohnt habe, ist gerade für einige Zeit in Israel.
Nach etwa einem Monat hier hat sie eine Rundmail an Freunde und Familie geschickt und der letzte Teil war sehr  treffend,  lustig und auch schön geschrieben. Hier darf ich jetzt ihr Erlebnis im israelischen Alltag präsentieren. Sie schreibt:


Ich liebe Israel. Vom ersten Moment an habe ich mich hier wohl gefühlt und nie etwas vermisst. Außer meine Familie und meine Freunde natürlich. Aber ich habe mich hier nie fremd gefühlt, im Gegenteil, eher so, als käme ich nach Hause. Obwohl vieles neu war, fühlte es sich sehr vertraut an. Trotzdem merke ich manchmal, dass ich im Ausland bin. Das passiert vor allem dann, wenn ich für eine vermeintliche Kleinigkeit ein paar Stunden brauche, von A nach B geschickt werde, mir jeder, den ich frage, eine andere Antwort gibt und ich am Ende immer noch nicht habe, wonach ich suche.

Ich wollte auf meinem Weg von Tel Aviv nach Jerusalem eine Rav Kav kaufen. Das ist eine elektronische Guthabenkarte, mit der man Tickets für öffentliche Verkehrsmittel in Israel kaufen kann. In der Central Bus Station in Tel Aviv, ähnlich einem zentralen Busbahnhof in Deutschland, nur viel größer, mehrstöckig und deutlich unübersichtlicher, versuchte ich mein Glück zuerst natürlich am Informationsschalter.
Als ich den Mann dort fragte, wo man hier eine Rav Kav kaufen kann, zeigte er desinteressiert nach nebenan zum Ticketschalter und gab dabei ein paar Hebräisch klingende Laute von sich. Dabei sah er mich noch nicht mal an und ich war mir nicht sicher, ob er mir überhaupt zugehört hatte.
Am Schalter nebenan standen ein paar Leute in der Schlange. Als ich an der Reihe war und mein Anliegen vortrug, verwies mich der Mann dort an ein Büro, das seiner Beschreibung zufolge „um die Ecke und dann da hinten“ war. Ich blickte ihn fragend an. Er stand auf und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum.
Achso, um die Ecke und dann da hinten. Okay, danke. Ratlos schaute ich um die Ecke, lief den Gang entlang und fand mich einer leer stehenden Sanitäranlage neben einem nicht funktionierenden Aufzug wieder.
Ich kehrte um und sah mich nochmal gründlicher um. Da winkte mir der Mann vom Ticketschalter zu und erklärte nochmal: „Um die Ecke und dann da hinten.“ Aha, zweimal um die Ecke und dann da hinten. Tatsächlich, jetzt sah ich auch das große Schild, auf dem eine Rav Kav abgebildet war und entdeckte das Büro daneben.

Im Büro konnte man tatsächlich eine Rav Kav bekommen. Super, dachte ich, endlich gefunden. Leider konnte man in diesem Büro nur eine personalisierte Rav Kav erhalten, also eine mit einem Foto hinten drauf, sodass nur diese eine Person auf dem Foto die Karte nutzen könnte.
Ein Freund hatte mir vorher aber gesagt, ich solle lieber eine Rav Kav ohne Bild kaufen. Die kostet dann zwar 5 Schekel, aber kann dafür auch von mehreren Personen genutzt werden. Ich fragte also in dem Büro, wo ich eine Rav Kav ohne Bild kaufen könnte. „Vorne am Informationsschalter“, sagte man mir. Komisch, da kam ich doch gerade her…
Ich ging also wieder zurück zum Informationsschalter und fragte dort nach einer Rav Kav ohne Bild. Diesmal sah der Mann mich kurz an, spielte aber ununterbrochen am Kabel seines Telefons rum und deutete dann, leicht genervt, mit einer Kopfbewegung zum Ticketschalter nebenan. Klar, hatte er ja vorhin schon gesagt.
Als der Mann vom Ticketschalter mich nur sah, stand er schon auf und lief aus seinem Häuschen, um mir ganz genau mit den Armen zu beschreiben, wo das Büro ist, das ich suchte. Ich erklärte ihm, dass ich es schon gefunden hatte, aber eine Rav Kav ohne Bild kaufen wollte. Und die gäbe es bei ihm. „Nein, bei mir nicht“, sagte er, „da im Büro.“ Und wieder gestikulierte er wild herum. Ich gab es auf, ihm weiter zu erklären, was mein Problem war. Ich fragte ihn, ob ich vielleicht auch beim Busfahrer eine Rav Kav kaufen kann. „Beim Busfahrer? Klar“, sagte er, „natürlich! Da kann man auch eine Rav Kav kaufen.“ Hätte er das mal gleich gesagt…

Zum Glück wusste ich, wo der Bus nach Jerusalem abfuhr, sonst wäre ich vielleicht noch länger in diesem Busbahnhof umhergeirrt.
Der Bus kam, ich stieg ein und fragte den Busfahrer, ob ich bei ihm eine Rav Kav kaufen könnte. Der blickte mich nur verwundert an, schüttelte den Kopf und erklärte dann, bei ihm könne man bar zahlen und mit Rav Kav, aber keine Rav Kav kaufen. Ich bezahlte also bar und hoffte, in der Central Bus Station in Jerusalem mehr Glück zu haben.
Ich war es ja mittlerweile gewohnt, dass man mich von A nach B schickte und wieder zurück, also wunderte es mich auch nicht, als ich in der Central Bus Station in Jerusalem von einem Handyladen zu einem Gemüseladen und von dort in einen menschenleeren Gang geschickt wurde.
Tatsächlich befand sich am Ende des Gangs dann aber eine Art Büroabteil und ein großes Schild mit einer Rav Kav darauf. Hinter einer Glaswand befanden sich mehrere Schreibtische mit Personal, aber nur an zwei Schaltern wurden gerade Kunden bedient. Ich ging also zu einem freien Platz und fragte, ob ich hier eine Rav Kav ohne Bild kaufen könnte. Die Dame am Schalter, die ich durch mein Kommen in der Unterhaltung mit ihrer Tischnachbarin unterbrochen hatte, sagte mir, ich müsse draußen erst eine Nummer ziehen. Dann wandte sie sich wieder ihrer Kollegin zu.
Ich ging also raus, suchte den Nummernautomaten und grübelte, ob ich nun den rechten oder linken Knopf drücken müsste. „A“ und „B“ konnte ich auf den Knöpfen lesen, das Hebräische für „Rav Kav“ auch, das stand auf beiden Knöpfen, aber der Rest war nur auf Hebräisch und ich verstand kein Wort. Ich entschied mich für Knopf „A“ und erhielt ein Nummernticket.
Doch woher wusste ich, wann meine Zahl aufgerufen wird? Ich sah keine Anzeigetafel. Aus einem Lautsprecher hörte ich Zahlen. Ah, die Nummern werden also durchgesagt. Hoffentlich merke ich, wann meine Zahl kommt. Ich setzte mich und dachte, ich würde erst mal warten, bis die anderen beiden Personen, die in dem Gang warteten, vor mir aufgerufen worden wären.
Plötzlich füllte sich der Gang. Mütter mit Kinderwägen und Männer mit Koffern kamen angelaufen. Lautstark unterhielt sich ein ultraorthodoxer Mann am Telefon. Eine alte Frau fragte mich auf Hebräisch, wo man hier ein Nummernticket ziehen kann. Ich zuckte mit den Schultern und erklärte auf Englisch, dass ich kein Hebräisch spreche. Sie sah mich ratlos an, entdeckte dann den Nummernautomaten, an dem sich mittlerweile eine lange Schlange gebildet hatte, und zeigte mir mit einer Handbewegung, dass sie den gesucht hatte. Achso. Ich lächelte ihr zu. Da sah ich, dass der eine Mann, der im Gang mit mir gewartet hatte, in den gerade angekommenen Bus einstieg.
Oh, er hatte also auf den Bus gewartet und nicht auf seine Nummer. Und die andere Frau, die auch vor mir da war? Sie war verschwunden. Vielleicht bin ich ja jetzt dran? Ich sah, wie zwei junge Männer in den Glaskasten gingen. Die waren aber doch nach mir gekommen. Habe ich meine Nummer etwa verpasst? Da entdeckte ich die gesuchte Anzeigetafel. Meine Nummer war natürlich schon längst vorbei. Sie wurde wahrscheinlich direkt aufgerufen, als ich mein Ticket gezogen hatte. Ich hätte eigentlich gleich im Glaskasten bleiben können, als ich das erste Mal rein spaziert war, weil ich sowieso der nächste Kunde gewesen wäre…
Ich zog also ein neues Ticket. Jetzt musste ich richtig lange warten. Denn all die Leute, die in den Gang geströmt waren, hatten mittlerweile ein Ticket gezogen und waren daher vor mir dran. Endlich wurde meine Nummer aufgerufen. Als ich der Dame am Schalter mein Anliegen vortrug, sagte sie, sie könnten mir nur eine Rav Kav mit Bild ausstellen.
Na super, jetzt habe ich so lange gewartet und dann das. Na gut. Ich fragte geduldig, wo ich denn eine Rav Kav ohne Bild kaufen könnte. „Vorne am Informationsschalter“, war die Antwort. Das hätte sie mir ja eigentlich auch vorhin schon sagen können, als ich ohne Nummer rein gekommen war…
Ich machte mich also auf die Suche nach dem Informationsschalter. Die Central Bus Station in Jerusalem ist bei Weitem nicht so kompliziert verwinkelt wie die in Tel Aviv. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis ich den Informationsschalter gefunden hatte. Dort schickte man mich, natürlich, weiter nach nebenan. Ob ich hier eine Rav Kav ohne Bild kaufen kann, fragte ich. „Ja“, war die Antwort. „Wirklich?“, fragte ich ungläubig zurück. „Ja, natürlich“, antwortete der Mann und sah mich prüfend an. Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Ich schien tatsächlich am richtigen Schalter angekommen zu sein.
„5 Schekel“, sagte der Mann. „Wenn du eine kostenlose Rav Kav mit Bild willst, musst du…“ „Ja, ich weiß schon“, sagte ich, „ich will aber eine ohne Bild.“ Ich gab dem Mann 100 Schekel und sagte, er solle mir die restlichen 95 Schekel als Guthaben auf die Karte machen. „Nein“, sagte er, „5 Schekel.“ „Ja, ich weiß, dass es nur 5 Schekel kostet. Ich will die restlichen 95 Schekel als Guthaben auf der Karte haben.“ „Nein, das geht nicht“, sagte der Mann wieder, „5 Schekel.“ Das kann doch nicht sein, dachte ich, dass ich den ganzen Tag nach dem richtigen Schalter suche und jetzt, wo ich ihn gefunden habe, alles an 5 Schekeln scheitern soll. Verzweifelt blickte ich den Mann an. „Warum geht das nicht?“ „Okay“, sagte er, nahm meine 100 Schekel, lud die Rav Kav mit 80 Schekeln auf und gab mir 15 Schekel zurück. Achso, man kann nur bestimmte Beträge auf die Karte laden. Er lächelte mir zu und überreichte mir meine Rav Kav. Geht doch, war ja gar nicht so schwer, oder?

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